
Winti ist nicht links und war nie links
Das Wichtigste vorneweg. Viele Menschen, die in Winterthur wohnen, glauben in einer linken Stadt zu wohnen. Das ein Trugschluss. Die Linke verfügt im Stadtparlament über 25 von 60 Sitzen. Sie ist also 6 Sitze von einer Mehrheit entfernt. Am nächsten an einer linken Mehrheit war man im Jahr 1938. Damals hatten SP und FWB zusammen 30 Sitze. Aber auch nur für 4 Jahre.
Der Stadtrat hat seit dem Jahr 2006 eine linke Mehrheit (mit einem Unterbruch von 2014 bis 2018). Diese Mehrheit in der Exekutive nützt jedoch nichts, wenn die Legislative nicht links ist. Nirgends zeigt sich das klarer, wie in den alljährlichen Budgetdebatten.
Bürgerliche Budget-Politik
Es ist jedes Jahr das gleiche Spiel. Die bürgerliche Mehrheit aus SVP, FDP, Mitte, GLP und EVP kürzt Kleinstbeträge aus dem Budget, ohne grosse Auswirkungen auf das Gesamtbudget, aber mit grossen Auswirkungen auf die Lebensqualität in Winterthur. Viele Bauvorhaben müssen aufgeschoben werden. Nötige Investitionen in die städtische Infrastruktur bleiben auf der Strecke. Städtische Leistungen müssen zurückgefahren werden. Wichtige Projekte wie die Tagesschulen, die Kulturstadt, die Klimaziele bis 2040, die Digitalisierung der Verwaltung, eine aktive Wohnpolitik und vieles mehr werden von der bürgerlichen Mehrheit abgewürgt. Winterthur wird wieder grau und unattraktiv.
Dabei sind dieselben Parteien aber überhaupt nicht sparsam damit, Unternehmen und Aktionär*innen die Steuern zu senken. Aktuell gerade im Kantonsrat, wo die dortige bürgerliche Mehrheit die Firmensteuern von 7% auf 6% senken will. AL, SP und Grüne haben dagegen das Referendum ergriffen. Für die Stadt Winterthur würde dies einen Steuerausfall von rund 9 Millionen bedeuten. Um dies zu kompensieren, müssten die städtischen Steuern um 3% erhöht werden.
Diese bürgerliche Budgetpolitik ist seit den 80er Jahren dieselbe. Die Steuern für Unternehmen und Aktionär:innen wurden im grossen Stil gesenkt und ein internationaler Steuerwettbewerb in Gang gesetzt. Der Neoliberalismus war geboren. Das wichtigste Schlagwort dazu war: Trickle Down. Die neu geschaffenen Gewinne für die Reichsten sollten mittels deren Konsum und Schaffung von neuen Arbeitsplätzen am Schluss bei allen ankommen. Dies hat, zumindest in den westlichen Staaten, auch eine gewisse Zeit lang funktioniert. Jedoch nicht für lange.
Das Ende des Neoliberalismus
2007 mit der Weltfinanzkrise wurde das Ende dieser Ära eingeleitet. Seither steigen die Zahlen an der Börse zwar weiter, dieses Wachstum kommt jedoch immer weniger bei der Gesamtbevölkerung an. Oliver Nachtwey zeigt in seinem Buch «Die Abstiegsgesellschaft», dass die Löhne der Arbeitnehmer*innen seit den 80er Jahren nur noch minim gestiegen sind und seit der Finanzkrise 2007, auf Grund der Teuerung und Inflation, real sinken. Dieser kaum sichtbare, aber durchaus wahrnehmbare Abstieg der Mittelklasse, führt zu existenziellen Ängsten und deshalb dem Aufschwung von rechtspopulistischen Parteien. Mit der Covid19-Pandemie 2020 und dem Krieg in der Ukraine seit 2022 schlug die Inflation und Teuerung enorm durch. Der Reallohnverlust wurde für alle auf einen Schlag bewusst.
Gleichzeitig kommt auch der Steuerwettbewerb an seine Grenzen. Schon länger ziehen niedrige Steuern kaum mehr neue Grossunternehmen an. Die Steuereinnahmen durch Unternehmen stagnieren vielerorts oder nehmen gar ab.
Auf den Schultern der einfachen Bevölkerung
Wobei wir wieder bei Winterthur wären. Nicht nur hier muss gespart werden, sondern auch in vielen anderen Gemeinden wie Andelfingen, Henggart, Weiningen oder Seuzach, um nur ein paar zu nennen. Aber auch beim Kanton oder beim Bund wird der Rotstift angesetzt. Dies weil es auf Kantonaler- und Bundesebene weniger Steuereinnahmen bei Unternehmen und Aktionär*innen gibt. Wegen den bürgerlichen Steuergeschenken in den letzten Jahrzehnten. Schultern müssen diese Ausfälle die einfache Bevölkerung.
Auf Gemeindeebene gibt es nur die Möglichkeit, die Steuern für alle zu erhöhen, städtische Dienstleistungen zu streichen oder höhere Schulden zu machen. Schulden haben die Industriestaaten seit den 80er Jahren im grossen Stil gemacht. Die Schuldenquote stieg in dieser Zeit von durchschnittlich 36% auf aktuell 114%. Auch Winterthur hat sich in den letzten Jahrzehnten mit der bürgerlichen Parlamentsmehrheit stark verschuldet. Auf insgesamt 1,2 Milliarden Franken beziehungsweise 9518 Franken pro Person. Sollten die Schulden weiter steigen, würde der Kanton das Steuer übernehmen und seinerseits den Rotstift ansetzen. Mehr Schulden ist also kaum eine Option.
Es bleiben deshalb nur zwei Optionen:
Option 1: Die Steuern bleiben gleich und die Leistungen nehmen ab.
Option 2: Die Steuern steigen und die Leistungen bleiben gleich.
Die dritte Option
Beides sind langfristig keine gangbaren Wege. Damit werden der Rechtspopulismus und autoritäre Bestrebungen nur befeuert. Die Menschen in Winterthur haben den Glauben an die bürgerliche Demokratie bereits in grossen Teilen verloren. Bei den letzten Parlamentswahlen nahmen noch rund 35% der Stimmbevölkerung teil. Die bürgerlichen Parteien haben ihre Demokratie an die Wand gefahren und hinterlassen einen Scherbenhaufen. Nicht nur in Winterthur sondern weltweit.
Was es braucht, ist eine dritte Option. Eine definitive Abkehr vom Neoliberalismus und einen Systemwandel. Es braucht eine neue Demokratie und eine neue Wirtschaft, die im Sinne der Menschen und nicht des Profits handelt.
Dafür müssen alle linken Menschen aktiv und Teil einer linken Partei oder Bewegung werden. Nur gemeinsam schaffen wir die Wende. Ein erster kleiner Schritt wäre eine linke Mehrheit bei den Wahlen 2026. Dann könnte man wenigstens endlich über die wirklichen Probleme sprechen, die diese Stadt belasten und nicht nur einen Abwehrkampf gegen die Bürgerlichen fühern, die mit ihrer Finanzpolitik Winterthur langsam aber stetig erdrosseln.